Fluidflux/ Nicht Binär

Die einzelnen Autor:innen der Erfahrungsberichte haben die Freiheit ihre Berichte frei zu verfassen. Daher können sie teilweise sehr explizit oder triggernd sein.

Angefangen hat es bei mir etwa mit 15 Jahren und der Erkenntnis, dass ich vielleicht eher männlich war, als weiblich. Es war ein random Gedanke gewesen, der sich aber in meinem Kopf gehalten hatte und über den ich immer wieder nachdenken musste, über viele Monate und Jahre hinweg. Etwas in mir hat mit dem Gedanken sehr viel verbunden, aber in Worte fassen konnte ich es nicht. 

Bis dahin hatte ich mich mit meinem Geschlecht nicht auseinandergesetzt, es war halt da und ich musste irgendwie damit klar kommen. Und das ging am besten durch Ignorieren, Verdrängen und das Beste daraus zu machen. 

Gleichzeitig war ich auf der Selbstfindungsphase und hatte mich gerade in meine damalige beste Freundin verliebtTM. Mehr durch Zufall stieß ich bei der Recherche, was mit mir falsch lief, auf dem Begriff “Bisexuell” und dadurch auf eine queere Community im Internet. Ich lernte einen Trans* Mann kennen, der auch bisexuell war. Vor allem durch das Schreiben mit ihm stellte ich fest, dass ich vieles sehr gut selbst kannte, aber nie auf die Idee gekommen war, dass das nicht normal war und es nicht allen Menschen auch so ging, aber einfach niemand darüber sprach (zumindest war das meine Erklärung damals). Ich fand mich wieder in den Erzählungen von ihm und auch anderen Trans* Männern und lernt auch eine Person kennen, die wie ich auf Selbstfindung war und die mir bis heute noch immer im Austausch und sich selbst besser kennen lernen eine nicht in Worte fassbare, große Hilfe ist. 

Aus einer Stimmung heraus besorgte ich mir irgendwann einen Binder und versuchte einen anderen Namen. Irgendwie hielt sich beides, trotz den anhaltenden starken Zweifeln und anderen Irrungen und Wirrungen. Ich merkte, dass es mir mit beidem besser und schlechter ging und das verwirrte mich. Erst später kann ich sagen, dass das Schlechter-Fühlen davon kam, dass sich die Jahre des Verdrängens bemerkbar machten und ich noch viele Jahre der Heilung brauchte bzw teilweise immer noch vor mir habe. Da ich damals vor allem nur Binäre Trans*menschen kannte und bei der Entscheidung Mann oder Frau, Mann “eher” passte, als eine Frau zu sein, folgte ich der Transition für Männer, hielt dabei aber oft geheim, dass ich mir immer noch unsicher war und Zweifel hatte – aber gleichzeitig einfach “wusste”, dass das der richtige Weg für mich war. Es kam mir wie ein unendliches Paradox vor, das aber nicht durch Stillstand lösbar war. 

Inzwischen kann ich das alles viel besser in Worte fassen als damals. Jetzt weiß ich, dass das was mich zweifeln ließ zu einem großen Teil mein Umfeld war, internalized transphobia, Depressionen, generelle Kopflastigkeit und alles “tot denken” müssen und vor allem auch, dass die sich ständige (teilweise mehrmals am Tag) wechselnde Gewissheit meiner Geschlechtsidentität, damit zu tun hat, dass ich Fluidflux bin. Männliche Geschlecht(er) sind bei mir meist, neben Zeiten wo ich eher Neutralität bevorzuge, am häufigsten aufgetreten. Deshalb hatte ich früher gedacht, dass ich (nur) ein Trans* Mann bin und den Rest auf Psyche geschoben. Vor allem erst nach der Kombi OP (Mastek und Hysto) bin ich Stück für Stück der Erkenntnis, dass ich Genderfluid bin und zwischen Geschlechtern wechsele, näher gekommen. Ich vermute, weil damit einfach so viel Leidensdruck abgefallen ist, dass ich mich nun mit dem nächsten/darunterliegendem beschäftigen konnte. Später stieß ich auf den Begriff Genderflux, wo sich die Intensität des erlebten Geschlechts wechselt. Beides zusammen hat mir über die Zeit des Selbst-Beobachtens die Augen geöffnet und inzwischen kann ich recht gut auseinander halten und bestimmen, wann es wieder fluidiert und wie es das tut. Wie es mir dann am besten geht, das lerne ich aktuell noch. Hormone haben mir mich selbst näher gebracht, die Operationen haben mich befreit und jetzt ist es einzig der Name, der nach der Namens- und vor allem Personenstandsänderung zwar weit besser als davor ist, aber im Alltag ich mich doch mit einem neutralen Platzhalter statt einem Namen am wohlsten fühle. Sollte es mal eine legale Anerkennung für nicht binäre Menschen geben, würde ich das gerne ändern, aber das wird wohl eher noch eine ganze, lange Weile dauern. Bei Pronomen bin ich noch am Überlegen, da nach jedem Fluidieren etwas anderes besser ist bzw das zuvor eben nicht mehr passt, ich es meinen Mitmenschen aber auch so leicht, wie möglich machen will, ohne mir selbst meine Menschenrechte und self respect abzuerkennen. Deshalb verwende ich im Moment keine Pronomen, aber halte mir natürlich offen, dass sich das nochmal für mich ändern kann.

Was ich inzwischen auch weiß ist, wie unglaublich wichtig es ist sich ausprobieren zu können und dabei vom Umfeld einfach akzeptiert zu werden und wenn eine andere Selbstfindungsphase kommt, wieder dieselbe Akzeptanz zu erfahren, egal wie lange oder kurz so etwas andauert oder wie oft. Außerdem merke ich, dass es eine Hilfe ist, dass jetzt wo die Operationen und Veränderungen sehr viel Druck, Stress und Leidensdruck weggenommen haben und ich ein tolles Umfeld habe, ich mich viel besser auf die Aufarbeitung und vor allem die Heilungsphase konzentrieren und angehen kann. Durch den Prozess weiß ich inzwischen auch, dass es bei mir als Kind damals schon Verhaltensauffälligkeiten gegeben hatte, die aber immer ignoriert oder mit Erziehung versucht wurden abzutrainieren. Zwar habe ich dadurch eine große Selbstkontrolle entwickelt, aber nicht in einem gesunden Maß und musste über die Jahre erst wieder überhaupt einen Zugang zu meinem Gefühlen entwickeln. Aber jetzt, nach vielen, umgangssprachlich gesagt, absolut beschissenen Jahren, in denen alles aus allen Ecken hochgekommen ist und ich bei dem riesigen Wollknäuel was mit mir los sein könnte oder warum ich nicht einfach “normal” sein kann, gefühlt nie weiterkam oder immer nur in Sackgassen endete, geht es mir so unglaublich viel besser. Ich habe wieder Zugang zu mir selbst, viel an Selbstbewusstsein, Kampfgeist und langem Atem dazugewonnen und den wundervollsten Partner der Welt. Wenn ich zurück an das Mobbing in der Schule und der Ausgrenzung damals denke oder wie oft ich damals suizidal oder dissoziativ war, ist es ein befreiendes Gefühl, endlich einen größeren Blick auf das Ganze haben zu können. Zwar habe ich was psychische Erkrankungen angeht, durch die ganze lange Zeit noch einiges vor mir, aber Suizidalität und Selbstverletzung sind an den meisten Tagen weit weg und auch die Tage an denen es mir so schlecht wie damals geht, sind weit weniger und kürzer geworden, dass es kaum zu vergleichen ist. Ich glaube ich komme langsam vom “Überleben” ins “Leben” und das ist ein tolles Gefühl und es ist ein unbeschreiblich gutes Gefühl, endlich heilen und ich selbst sein zu können. Was ich auch nicht dachte, aber sich gut anfühlt, ist dass es okay ist, wenn ich noch nicht “fertig” und “angekommen” bin. Früher habe ich mir sehr viel Druck gemacht, selbst so schnell wie möglich eine “Lösung” und Erklärung für alles haben zu müssen, um es anderen Menschen präsentieren zu können. Inzwischen ist es so, dass ich es gut loslassen und die Selbstfindungsphase ihr eigenes Tempo lassen kann, dass der Druck weg ist, was sich so viel gesünder und entspannter anfühlt. Das Gefühl etwas zu “verpassen” in der richtigen Geschlechtsidentität ist auch nur noch selten da und auch die Angst davor, was ist, wenn es sich doch wieder ändert, begleitet mich nicht mehr, weil ich jetzt einfach die Gewissheit habe, dass ich es akzeptieren und lieben kann. So wie ich halt bin oder sein werde.

Lesbisch

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„Und plötzlich wusste ich: Ich bin lesbisch.“

Ein bisschen anders als die anderen Mädchen um mich herum fühlte ich mich eigentlich schon im Kindergarten. Mit „Vater, Mutter, Kind“-Spielchen konnte ich nichts anfangen, ich kletterte viel lieber auf Bäume, baute Höhlen oder ließ im Fluss Piratenschiffchen schwimmen. In der fünften Klasse schließlich, als meine Klassenkameradinnen ihre ersten Schminkutensilien auftrugen, kaufte ich mir Lipgloss und weiß noch haargenau, wie pappig ich diesen künstlichen Film auf meinem Mund fand. Bäh! Ich versuchte lange, irgendwie dazuzugehören und ja nicht aufzufallen. Es gelang mal mehr, mal weniger. Aber auch Jungs ließen mich, zu meiner großen Enttäuschung, allesamt kalt. In meinem Zimmer hingen keine Poster von den Backstreet Boys und Justin Timberlake, ich schmachtete Britney Spears und Pink an.

Es traf mich schließlich wie der Blitz: Als ich mich zum ersten Mal in eine Frau verliebte, war das genauso überwältigend wie seit Jahrhunderten in schnulzigen Romanen und Filmen beschrieben. Herzklopfen. Schmetterlinge. Schwebend auf rosafarbenen Wolken und überall sie. Trotzdem habe ich es lange unterdrückt und fehlinterpretiert. Was war da los mit mir? Diese intensiven Gefühle sollte ich doch für einen Mann haben. Wieso kann ich nicht einfach sein wie alle anderen? Lange sprach ich, trotz leinwandreifer Gefühlslage für diese Frau, mit niemandem über meine Liebe. Im Jahr 2008 gab es kaum prominente Vorbilder, kaum Medienpräsenz – vor allem auf dem Land. Meine Freundinnen, so glaubte ich, würden das nicht verstehen. Meine Eltern sowieso nicht. Und außerdem: Ich schämte mich ja selbst am allermeisten für das, was ich da fühlte und nicht kannte. Und doch, erst durch diese Frau war es mir nicht mehr möglich, meine Gefühle zu verdrängen und kleinzureden. Und plötzlich wusste ich: Ich bin lesbisch.

So weit, so schwierig.

Diese Monate der Selbstfindung waren eine ziemlich einsame Zeit, in der ich viel nachdachte, Kontakt zu queeren Jugendgruppen aufnahm und schließlich auch meine erste LGBT+ Party in Köln besuchte. Langsam wurde ich sicherer in meinem Lesbischsein und irgendwann- es war im ersten Semester meines Studiums- saß ich mit meiner Mutter am Wohnzimmertisch und sprach die magischen Worte, die alles verändern sollten: „Mama, ich bin lesbisch.“ Stille. Verdrängen. Schließlich Akzeptanz. Es war nicht leicht für sie, denn was würden die Nachbarn sagen? Wie würde die Verwandtschaft das finden? Wie soll das überhaupt gehen, lesbisch? Das war doch bestimmt nur eine Phase. Ich hörte so ziemlich alle Klischees, die es gibt, und doch muss ich sagen, dass ich enormes Glück hatte. Meine Mutter ist heute meine größte Unterstützerin.

So nach und nach erzählte ich es dann allen mir wichtigen Menschen und Freund*innen. Heute bin ich überall geoutet, auch am Arbeitsplatz, und stolzer denn je. Mein Freund*innenkreis ist toller und bunter als ich ihn mir 2008 je hätte vorstellen können, mein Studium war voll mit queeren Inhalten und ich habe Freude daran, selbst ein queeres Vorbild zu sein.

Dennoch wird mein Coming Out nie enden. Egal wo, Kommentare wie „Hast du keinen Freund?“, „Was, lesbisch? Echt? Du siehst doch gar nicht so aus.“ oder „Ohh. Darf ich mal zugucken?“ kommen meist sehr schnell. Bevorzugt im Bierzelt und ja, auch im Jahr 2020. Denn obwohl wir viel erreicht haben, gibt es noch sehr viel mehr zu tun. Aber ich habe Hoffnung, yes I do. Denn während meine Großeltern es auch zwölf Jahre nach meinem Outing nicht schaffen, offen über mein Leben zu sprechen, rennt meine Nichte schon längst glucksend mit der Regenbogenfahne durchs Wohnzimmer.

It gets better

Was will ich also sagen: It gets better! Mein Coming Out war (und ist!) die mutigste, schwierigste und allerbeste Entscheidung meines Lebens gewesen. Was habe ich für ein buntes Leben, wie gut habe ich mich selber und andere dadurch kennenlernen dürfen! Traut euch und euren Gefühlen, sie könnten richtiger nicht sein. Die Welt da draußen ist so groß, so viel größer als euer Dorf und ihr werdet eure Herzensmenschen finden, auch wenn es gerade vielleicht noch nicht danach aussieht. Und falls ihr jetzt noch nicht so weit seid: Ein bisschen weglaufen ist eh okay.

Transgender und Pan

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Transgender und Pan

Allgemein

Ich hab schon in meiner Kindheit und Jugend gemerkt, dass „etwas mit mir nicht stimmt“. Während die anderen Mädchen immer Prinzessinnen sein wollten, wollte ich lieber Pirat sein. Ich wollte ein wilder Kerl sein, keine Fee. Als die anderen Mädchen anfingen, sich zu schminken, hab ich lieber Fußball gespielt. Dieses „typisch mädchenhafte“ Verhalten während der Pubertät fand ich einfach nur lächerlich. Warum sollte ich weinen, wenn mich ein Junge nicht wollte? Ich verstand es nicht, versuchte aber, mich anzupassen, wenn auch mit wenig Erfolg. Für die Mädchen war ich immer zu wild, für die Jungs war ich ein Mädchen. Ich selbst hatte keine Ahnung mehr, was ich eigentlich bin. Ich wusste nur, ich bin anders.

Heute, gute 10 Jahre später, weiß ich, dass mit mir alles stimmt. Heute kann ich das, was ich fühle, einordnen: Ich bin ein Transmann und pansexuell. Bis zu diesem Moment war es ein sehr langer und sehr schwerer Weg.

Der Weg

Ich lebe seit gut einem halben Jahr vollständig als Mann, auch wenn ich noch pre-alles bin und auch die Namens- und Personenstandsänderung noch nicht durchhabe. Ich habe bereits vor über einem Jahr versucht, meinen Eltern zu sagen, dass ich transgender bin, habe mir damals allerdings einreden lassen, dass das nicht sein kann. Ja, die eigenen Eltern können einen unwahrscheinlich beeinflussen. Sowohl positiv als auch negativ.

Im Winter letzten Jahres traf ich dann auf eine gleichaltrige Transfrau. Das war dann der Klick-Moment. Ich habe sie gesehen und zu 100% gewusst, dass ich das auch bin (wenn auch anders herum 😊). Seit diesem Moment habe ich Stück für Stück meine Maske fallen lassen und den jungen Mann, der ich schon immer war, vollständig zum Leben erweckt. Als ich das erste Mal mit meinem neuen Namen und den richtigen Pronomen angesprochen wurde, hätte ich weinen können vor Glück. Als ich zu Hause die Sätze „Du zerstörst unsere Beziehung!“ und „Warum kannst du nicht Borderline haben? Das wäre besser.“ hörte, hätte ich weinen können vor Trauer. In solchen Situationen war ich schon oft kurz davor, zu der Statistik über LGBTQ+ Menschen, die sich umgebracht haben, zu gehören und ich habe mir auch überlegt, einfach wieder die Maske aufzusetzen. Ich habe mich gegen die Maske und für mich entschieden.

Konsequenzen

Es gab positive und negative Konsequenzen. Ich werde zuerst das Positive berichten. Meine psychischen Probleme haben unwahrscheinlich nachgelassen, so habe ich mich seit meinem Outing nicht mehr geschnitten, meine depressiven Phasen sind eindeutig weniger geworden und auch die Suizidgedanken und der Selbsthass allgemein gehen zurück. Ich habe wunder- und wertvolle Menschen kennengelernt, viele davon sind heute meine Freunde, einige meine „Familie“. Ich habe mich, der ich ein unwahrscheinlich schüchternes und verschlossenes Mädchen war, als einen offenen und vor allem glücklichen jungen Mann kennengelernt. Auch hat mein Umfeld – bis auf meine Familie – durchweg positiv reagiert.

Das Negative ist, dass meine Eltern mich vollständig fertig machen. Ich habe ja bereits oben zwei ihrer beliebten Sätze genannt. Es geht so weit, dass sie versuchen, mir mein Leben zu zerstören und mir den Tod wünschen.

Meine persönliche Konsequenz? Ich würde trotz der Situation mit meiner „alten“ Familie nichts an meinem Leben ändern wollen.

Was bedeutet pan?

Nein, pan sein bedeutet nicht, dass ich auf Pandas oder Pfannen (englisch pan = Pfanne) steh. Pan (in der Langform pansexuell) sein bedeutet, dass es mir egal ist, was für eine Geschlechtsidentität mein Gegenüber hat. Mann? Frau? Non-binary? Eine der vielen weiteren Identitäten? Mir (uns) völlig egal. Dein Charakter muss stimmen, denn das ist bei mir, bei allen Pansexuellen, das Wichtigste.

Kein Entweder-Oder

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Kein Entweder-Oder

„Stehst du auf Männer oder Frauen?“ Für die meisten Menschen dürfte diese Frage relativ leicht zu beantworten sein, zumindest ab einem gewissen Punkt in ihrem Leben. Für mich war sie das nie.

Als Kind habe ich nie den gängigen Geschlechternormen entsprochen, ich war nie, wie man „als Mädchen“ oder „als Frau“ zu sein hat. Und auch, wenn diese Logik im Nachhinein betrachtet sicherlich falsch ist, bin ich deshalb lange Zeit davon ausgegangen, dass ich hetero ja nicht sein kann. Als ich irgendwann feststellte, dass ich irgendwie doch (auch) auf männliche Personen stehe, brachte diese Erkenntnis daher eine mittelschwere Identitätskrise mit sich. Denn schließlich ist man laut vorherrschender gesellschaftlicher Meinung als Frau entweder „ganz normal hetero“ oder eben lesbisch. Und Letzteres war ich sicher nicht. Ich wusste zu dem Zeitpunkt zwar, dass es auch bisexuelle Menschen gibt, wollte aber nicht wahr haben, dass ich vielleicht einer davon bin. Nicht einfach nur ein Geschlecht zu haben, auf das man „steht“, würde schließlich alles nur komplizierter machen. Und viel zu kompliziert war mir das alles sowieso schon.

Meine Sexualität war aber nicht der einzige Aspekt meiner Existenz, der mich verwirrte.Was mich zunehmend beschäftigte, war auch mein eigenes Geschlecht.

Meistens schon bevor wir überhaupt geboren werden, steht fest, als was wir später einmal unser gesamtes Leben lang leben sollen: Als Mann. Oder eben als Frau. Diese Einteilung scheint das Natürlichste, das Grundsätzlichste der Welt zu sein. Aber für mich ist sie das nicht. Ich habe mir über ca. zwei Jahre hinweg den Kopf zerbrochen, wer ich bin (Mann? Frau? Weder noch?), bevor ich mich entschlossen habe, diesem ach so natürlichen Konstrukt namens Geschlecht den Mittelfinger zu zeigen. Weil ich einfach sein will, wer ich bin, ohne mich von irgendwelchen konstruierten Rollenvorstellungen einschränken zu lassen.

In einer zweigeschlechtlichen Welt ist das nicht immer ganz einfach. Für Personen wie mich, die nicht als eines der beiden binären Geschlechter leben, ist es z.B. in Deutschland sehr schwierig, den eigenen Vornamen oder Geschlechtseintrag ändern zu lassen und/oder medizinische Maßnahmen wie Hormone oder sog. geschlechtsangleichende Operationen zu bekommen.Wenn ich neue Menschen kennenlerne und die mich verwirrt fragen, ob ich denn nun weiblich oder männlich bin, ich das angesichts der mangelnden Fähigkeit vieler Menschen, über ihren eigenen binären Tellerrand hinauszublicken, auch nicht unbedingt immer eine schöne Situation. Aber ich habe Freund*innen, die mich unterstützen, was das alles sehr viel erträglicher macht.

Womit wir wieder beim Thema Sexualität wären. Auch da gibt es für mich eben kein Entweder-Oder. Und das ist auch gut so. Ich habe gelernt, dass ich mich nicht in Schubladen stecken muss, und diese Erkenntnis ist mir viel mehr wert, als irgendwelchen Normen zu entsprechen.

Transgender/Transmann

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Transgender/Transmann

Was stellt man sich unter Trans vor?

Bei mir waren es damals Männer in glitzernden Kleidern und mit langen Bärten. Allerdings habe ich mich auch nie wirklich damit auseinander gesetzt – zumindest nicht, bevor ich 15 Jahre alt wurde.

Mein Anfang
15 ist an sich recht spät, wie mir im Vergleich zu anderen Transmenschen meines Alters zu der Zeit auffiel. Viele bemerken es schon in der frühen Kindheit. Ich dagegen habe etwas länger gebraucht. Bereits davor war ich mit einer Transfrau befreundet – ohne selbst überhaupt den Gedanken zu haben, bei mir könnte es ähnlich sein – und hatte ihren harten Werdegang miterlebt; das Outing, die Lästereien der Mitschüler, ihre Angst und Unsicherheit, die Gutachter und Gerichtstermine, zu denen sie musste. Ich hatte damals großen Respekt vor ihr, wie sie mit 12 Jahren selbstständig nach Frankfurt zu den Gutachtern fuhr und willensstark trotz allem ihren Weg ging. Später habe ich dann gemerkt, dass man diese Stärke automatisch entwickeln muss, um diesen Weg zu gehen.
Mit 15 Jahren traf ich eher dann zufällig auf einen anderen Transmann, wurde damit geradezu mit der Nase auf das Thema gestoßen und fing langsam an zu begreifen, dass seine Situation auch auf mich zu traf.

Kein einzelner Aha-Moment
Man stellt es sich vielleicht so vor, dass man nur den Begriff “Transgender” hört und dann dieser Klick-Moment der Erkenntnis auftauchen würde – und für ein paar trifft das auch so zu. Bei mir war das aber nicht der Fall: Es gab keinen wirklichen Moment der Erkenntnis. In meinem Kopf prügelten sich zwei Jahre lang die Emotionen gegenseitig, sodass ich gar nicht mehr wusste, wo mir der Kopf stand. Doch das Thema sein zu lassen und einfach zu verdrängen war unmöglich.

Was genau bedeutet Trans eigentlich?
Transgender ist eigentlich ein Überbegriff der weit mehr umfasst, als nur Mann und Frau.
Der medizinische Begriff, wenn man sich nicht dem gebürtigen Geschlecht zugehörig fühlt, ist transsexuell. Doch das Geschlecht hat nichts damit zu tun, auf wen man steht und in wen man sich verliebt, deswegen benutzen viele Transmenschen lieber die Begriffe transgender (gender = engl. Geschlecht) oder transident (soviel wie “identifizieren mit”).

Das Geschlecht, von dem hierbei die Rede ist, ist das sogenannte soziale Geschlecht. Also wie man angesprochen und gesehen werden will und sich selbst sieht – nicht welche Geschlechtsteile man besitzt.
Beim sozialen Geschlecht gibt es neben Mann und Frau (binäre Geschlechter; bi = zwei) das Spektrum der nicht binären Geschlechter. Darunter fallen Menschen, die sich zum Beispiel sowohl als Mann als auch als Frau fühlen; die, die sich einfach als existent sehen und denen Geschlecht völlig egal ist. Die, die einfach kein Geschlecht besitzen oder eben eines, welches weder männlich noch weiblich ist. Das Geschlecht eines Menschen kann auch wechseln und allgemein kann man es sich als ein großes, buntes Spektrum vorstellen. Dementsprechend kann es auch sein, dass jemand, der sich zum Beispiel keinem Geschlecht zugehörig fühlt, sich wünschen könnte, weder mit männlichem noch weiblichem Pronomen angesprochen zu werden.
Während im Tierreich diese Vielfalt schon seit Ewigkeiten besteht (z.B. bei Tiefseefischen, Clownfischen, Schnecken, etc.) ist es in der Gesellschaft doch noch sehr unbekannt. Man trifft auf viel Unverständnis, Intoleranz, Anfeindungen und manchen Menschen macht diese Vielfalt riesige Angst.
Soviel zu den Basics.

Aber wie merkt man, dass man Transgender sein könnte?
Gegenfrage: Fühlst du dich völlig wohl darin, als Mann/Frau geboren worden zu sein? So wohl, dass du höchstes einmal für wenige Stunden daran denkst, wie es wohl in einem anderen Geschlecht wäre, es aber dann gleich wieder verwirfst. Oder beschäftigt es dich doch etwas länger?
Meiner Erfahrung nach kommt bei Transmenschen oftmals die Frage “Wie fühlt man sich denn überhaupt als Mann/Frau?” auf.  Und wenn du dir diese Frage stellst, erhöht sich in meinen Augen die Wahrscheinlichkeit, Trans zu sein, sehr, denn Menschen, die im passenden Geschlecht geboren werden, stellen sich diese Frage nicht. Bei ihnen gibt es eine tiefere Sicherheit, sodass sie gar nicht erst darüber den Kopf zerbrechen müssen.

Mein weiterer Weg
Meine Erkenntnis war, dass ich mich doch nicht wirklich so wohl fühlte, und mir im gebürtigen Geschlecht mehr wie apathisch und eine Puppe, die halt funktioniert, vorkam. Mich verband keine wirkliche Emotion mit dem Geschlecht, in dem ich mich eigentlich wohlfühlen müsste. Davor war das halt so, ich wusste ja nicht, dass es anders auch geht. Und wenn man nicht weiß wie es besser sein könnte, dann arrangiert man sich – mithilfe vieler psychischer Kompromisse – mit diesem Los.
Nun aber verfolgte ich etwas misstrauisch meine Gedanken, wie sie immer wieder an das männliche Geschlecht und wie es wäre so zu leben, so aufgewachsen zu sein, wanderten. Und wie es angenehmer und einfach freier war.
Damit kamen dann zwei Jahre Emotionschaos und Herumprobieren, die Versuche mich aus den festgefahrenen Rollen soweit zu lösen, dass ich langsam ich selbst werden konnte.

Ich bin in einem Haushalt von Frauen unterschiedlichsten Charakters aufgewachsen und wurde aufgezogen mit Mantras wie “Männer sind alles vergewaltigende Wölfe oder faule Schweine!” “Frauen müssen zusammenhalten!” “Wenn du zu einem Treffen fremder Menschen gehst – immer erst mit den Frauen reden und dort Freunde finden!” “Man lässt eine andere Frau nicht alleine in Clubs aufs Klo oder abends heimlaufen. Lass nie die Getränke deiner Freundinnen auch nur für eine Sekunde aus den Augen!” “Du musst dich als Frau behaupten – sonst wirst du in dieser Männergesellschaft untergehen.” Kurzum, ich hatte kaum Kontakt mit anderen Jungs. Dazu waren wir recht arm, meine Klamotten waren die meiner Cousinen, die diese von wieder anderen Verwandten hatten, ebenso bei Makeup; Geld für Friseur war nicht vorhanden, das machte man selbst. Viel Freiraum war da nicht.
Trotzdem konnte ich sagen, dass ich mich als Mann fühlte – und zwar aus dem einfachen Grund, dass ich – und nur ich allein – weiß was das Beste für mich und was mein Weg ist. So wie auch nur du allein weißt, was das Richtige für dich ist. Nicht deine Verwandten, nicht deine besten Freunde können das sagen. Und selbst wenn ein Mensch das ganze Leben mit dir Kontakt hatte, du allein bleibst Experte für dich. Soweit ich auch mit einer Verteufelung von Männern aufwuchs, so hatte ich auch meinen Sturkopf von meiner Verwandtschaft geerbt und wenn ich etwas von mir aus machen MUSSTE, dann zog ich das auch durch. Das war und ist bis jetzt noch immer der richtige Instinkt gewesen. Und ich wusste, dass ich weder ein Schwein noch ein Wolf werden würde.

Jetzt könnte man sagen: Cool, ich weiß, dass ich ein Mann bin, los geht’s!
Doch wieder habe ich es mir selbst schwer gemacht. Denn ich fühlte zwar, dass es der richtige Weg war, war aber seit dem Alter von 11 Jahren schwer depressiv, suizidal, selbstverletzend, suchte nach Drogen, Strategien zum Hungern oder Allem, womit ich unterbewusst dem mir so verhassten Körper schaden konnte. Ein Teil von Depressionen ist auch Taubheit. Dir ist alles scheiß egal, du fühlst einfach nichts mehr außer Gefühlslosigkeit. Willst du dich näher damit befassen, scheint alles in dir drin wie in tausend Splitter zerborsten zu sein und du weißt gar nicht, wo du überhaupt anfangen solltest oder ob es noch irgendwas zum Anfangen gibt.
Mir hat damals geholfen, dass ich mir selbst keine Wahl gelassen hatte. Ich MUSSTE mich weiter mit dem Thema befassen, MUSSTE Männerkleidung und Binder (eine Art Korsett für Brüste zum Abbinden) ausprobieren und nach Männernamen suchen, mich bei engen Vertrauten outen und mich von ihnen mit “er” ansprechen lassen. Dieser innere Drang, der einen einfach packt und nicht mehr loslässt, einem von dem Thema nicht mehr loslässt, bis man seine Lösung gefunden hat. Und mit jedem Ausprobieren und Weitermachen wurde der nächste Schritt des Weges etwas klarer für mich. Ich beschäftigte mich langsam mit der Therapie, Testosteron-Zugaben, Namensänderung und Operationen. Dennoch war das alles erstmal nur ein Gedankenspiel, nicht mehr. Eine Art Tagtraum.

Transweg
Der Begriff “Transweg” fällt meist im Zusammenhang damit, welche Schritte man vom gebürtigen Geschlecht bis zu dem vollständigen Wohlfühlen in einem anderen Geschlecht unternommen hat. Standartmäßig gibt es diesen Klick-Moment der Erkenntnis, dass man Trans ist. Dann sucht man sich einen Psychologen oder Psychiater, der einen auf dem Weg begleitet bzw. überwacht, ob man wirklich Trans ist und es nicht an irgendetwas anderem liegt. Diese stellen einem nach (durchschnittlich) einem halben Jahr die Indikation (=Art Notwendigkeitsschreiben) für Hormone aus.

Hormone
Mit diesem Schreiben geht man zu einem Endokrinologen, der auf alles rund um Hormone spezialisiert ist und einem diese auch verabreicht. Meistens wird dazu aber ein zusätzliches Gutachten von einem unabhängigen Psychiater verlangt. Am ersten Termin wird Blut abgenommen und in ein besonderes Labor geschickt zur Chromosomensatzanalyse. Dort wird geschaut, ob man nicht doch intersexuell ist oder eine extreme Hormonüber- oder unterproduktion hat, an der es liegen könnte. Das dauert im Durschnitt 4 Monate bis die Ergebnisse da sind. Ist alles im Normbereich (die meisten Menschen haben eine leichte Über- oder Unterproduktion, allerdings in einem gewissen Bereich liegend), kann mit der Hormongabe begonnen werden.
Testosteron und Östrogen sind die beiden hier eine Rolle spielenden Hormone. Östrogene stehen für die “weiblichen Hormone” und Testosteron für die “männlichen Hormone”. Bei Transmännern, wie mir, reicht meist die Gabe von Testosteron, da es das dominantere Hormon ist. Bei Transfrauen müssen meist zum Östrogen zusätzlich noch Blocker dazu genommen werden, um das Testosteron zu dämpfen. Jeder Mensch hat beide Hormone in sich, allein wie stark die Drüsen sind, macht aus, ob man “typisch männlich” oder “typisch weiblich” aussieht. So haben Frauen mit eher männlichen Gesichtszügen oder stärkerer Behaarung wahrscheinlich etwas mehr Testosteronproduktion und Männer mit weiblicheren Gesichtszügen, weniger Behaarung oder breiteren Hüften wahrscheinlich etwas mehr Östrogenproduktion.
Das macht aber nicht aus, ob man Transgender ist. Wenn eine Frau, die sich als Frau wohlfühlt, mehr Testosteron bekommen würde, so würde sie sich dennoch genauso als Frau fühlen wie zuvor. Die Hormongabe ist lediglich eine Hilfe für Transmenschen, um ihr Äußeres dem Inneren anzupassen, wie es auch bei den Operationen der Fall ist.
Wie jedes Medikament fängt man auch mit Hormonen erst leicht an, um den Körper daran zu gewöhnen. Bei Kindern gibt es die Möglichkeit der Gabe von Blockern, sodass diese während der Pubertät nur leichtere Veränderungen durchleben und die vollständigen Veränderungen sich nach hinten verschieben, bis die Kinder volljährig sind, um selbst über sich zu entscheiden. Dafürsprechend ist, dass nicht alle Veränderungen nach der Pubertät noch umkehrbar sind und deswegen zu lebenslangen, psychischen Schäden oder Traumatisierungen führen können. Zudem ist Suizid oder der Wunsch zu sterben, um den falschen Körper und das “falschen Leben” im falschen Geschlecht endlich hinter sich zu lassen und alle damit verbundenen psychischen Schmerzen zu beenden, unter Transmenschen kein unbekanntes Thema.

Die Hormongabe beginnt meist mit Hormongel. Das kann man sich wie bei einem Seifenspender vorstellen. Ein Hub entspricht einmal auf den Seifenspender drücken. Gel ist sehr leicht anzupassen im Gegensatz zu der Spritze, die dafür nicht täglich, sondern nur etwa alle 3 Monate genommen werden muss.
Nach etwa einem Jahr Testosteron und ein ein-halb Jahren Begleittherapie, in der auch der Alltagstest (=lebt man im gefühlten Geschlecht? Ist man geoutet? Welche Toiletten benutzt man? Etc.) statt gefunden hat, kann man sich an die Operationen machen.

Operationen
Dafür sucht man sich einen der wenigen Operateure heraus, hat dort ein Gespräch zur Aufklärung und reicht mit allen anderen Gutachten, Indikationsschreiben, einem Translebenslauf (= in dem man auf alles, was man bis jetzt im gefühlten Geschlecht gemacht und erlebt hat von Kindergarten bis zum aktuellen Zeitpunkt, sowie auf Familie, Freunde, Hobbies, Lebensumstände und weiterem eingeht) und weiteren Schreiben den Antrag auf die Operationen bei der Krankenkasse ein. Das ist meistens ein ziemlicher Kampf und oft wird grundsätzlich der erste Antrag abgelehnt, sodass man in Widerspruch gehen muss. Für eine Operation sollte man eine Wartezeit von etwa einem Dreivierteljahr einplanen.

Sehr wichtig ist: Es gibt viele verschiedene Operationsschritte, die aufeinander folgen, mit jeweils ein paar Monaten zur Heilung dazwischen. Du und nur du allein entscheidest, bis zu welchen Schritten du gehen möchtest und was du nicht machen möchtest! Bei jeder Op gibt es Risiken und da die Methoden noch relativ wenig weiterentwickelt wurden, sollte man sich auf jeden Fall klar werden, ob einem das Ergebnis passt ist im Vergleich zu den Risiken, Krankenhausaufenthalten und Schmerzen bis zur Verheilung. Wie gesagt: Die Operationen sind nur eine Hilfe, das Innere nach außen zu tragen, und du allein entscheidest, was du dafür brauchst, um dich komplett wohl zu fühlen. Das können alle fünf großen Ops sein (bei Transmännern), dass kann auch nur eine oder sogar keine sein.

Namen- und Personenstandsänderung
Nebenbei kann man sich jederzeit an die Namens- und Personenstandsänderung machen. Dazu reicht man den Antrag mit gewünschtem Namen und Geschlecht (Mann oder Frau) und Translebenslauf – sowie wenn möglich Antrag auf Gerichtskostenbeihilfe – bei der zuständigen Gerichtstelle ein und bekommt nach einer Anhörung zwei Gutachter zugewiesen, mit denen man nachweislich noch keinerlei Kontakt hatte. Diese schicken ihren Ergebnisbericht wieder an das Gericht und abhängig davon wird entschieden. Fällt ein Gutachten negativ aus, kann man in Widerspruch gehen und einem wird ein dritter Gutachter zugewiesen.

Gutachtertermine sind je nach Psychiater einer oder mehrere Termine, die durchschnittlich 3 Stunden pro Sitzung dauern. Zuvor schickt man ihnen noch einmal einzeln den Translebenslauf zu, sodass diese gezielte Fragen stellen bzw. abgleichen können, was man erzählt und geschrieben hatte. Es geht wieder von Vorschulalter über Kindergarten, Grundschule, weiterführende Schulen, das Umfeld damals bis heute, welche Klamotten man getragen hat, ob man mehr mit Jungen oder Mädchen befreundet war, welche Spielzeuge man hatte, Kindheitsfotos in welchen Klamotten, Familienverhältnis, Wohnsituationen, Beziehungspartner, körperliche Berührungen, Sexleben, Hobbies, Beschäftigungsverhältnis, Outings, Alltagssituationen, in welchen Situationen einem deutlich wird im falschen Geschlecht zu sein, Frisuren, ob man jemals Make-up verwendet hat, Schmuck, welche Erkrankungen es in der Familie gibt, etc. Oft folgen noch ca. 1 stündige IQ- , EQ- und Tests über die Psyche. Es wird bewertet, welche Ausstrahlung man hat, welche Klamotten man am Termin trägt, welchen Haarschnitt man hat und wie Mimik und Gestik sind.

Verfahrenskostenbeihilfe heißt im Übrigen, dass ein Teil der Gerichtskosten übernommen werden. Diese wird genehmigt, wenn man nachweisen kann, dass beide Elternteile nicht über eine gewisse Grenze hinaus verdienen. Insgesamt dauert das Verfahren von Antrag Absendung bis zum offiziellen Bescheid (bei zwei positiven Gutachten) etwa ein Jahr. Das hängt u.a. daran, dass die Gutachter Wartezeiten von bis zu einem halben Jahr haben.

Bei mir war damals der Fall, dass ich seit Jahren keinen Kontakt mehr zur väterlichen Familienhälfte besaß und die Seite meiner Mutter Transgender für eine heilbare Krankheit und psychische Störung hielt und noch immer hält. Damit blieb nur selbst bezahlen übrig und so sparte ich darauf. Man sollte in etwa 2.500 Euro dafür einplanen, zusätzlich Kosten für alle Fahrten und hinterher die Kosten für neue Urkunden und Ausweispapiere. Ohne deutsche Staatsbürgerschaft ist dieses Verfahren nicht möglich und sowieso braucht man für alles von Therapie bis Operation entweder die Einverständniserklärung der Erziehungsberechtigten (wenn es beide Eltern sind, dann beide) oder man ist volljährig.

Das Leben als Transmann
Allgemein lebe ich jetzt seit etwa fünf Jahren als Mann, bin seit über einem Jahr auf Testosteron, habe die Namensänderung durch und hoffe auch bald auf das O.K. für die ersten Operationen. Ich habe nicht vor, alle fünf machen zu lassen. Mir persönlich graust es sehr vor Krankenhäusern und das Risiko, durch einen  1 Millimeter verrutschten Schnitt mit ca. 25 Jahren für immer inkontinent zu werden, ist mir zu hoch. Außerdem weiß ich noch nicht, wo es mich im Leben hin verschlagen wird, da möchte ich nicht zwangsweise alle paar Monate für den Rest meines Lebens ins Krankenhaus zur Kontrolle müssen. Doch kann ich auch sehr gut verstehen, wenn man alle Ops machen lassen möchte… Allein schon, wenn ich an Gemeinschaftsduschen oder Schwimmbäder denke.

Was Transgender angeht, gibt es noch Momente, in denen die alte Unsicherheit für ein paar Minuten hoch kommt und auch Momente, in denen ich verfluche nicht als Mann geboren worden zu sein. Die Kindheit als Junge, die ich nie erleben kann, oder nie als Mann aufzuwachsen. All der Stress, die Outings und die Menschen, die ich dadurch verloren habe oder einige Gespräche, bei denen sich mir jetzt noch alles umdreht vor Menschenfeindlichkeit darin, das hätte eine einfache Verkürzung eines Chromosoms erspart. Das Gefühl bei Gutachtern wie ein Zirkustier bewertet zu werden oder bei jedem Outing mich bei fast jedem einzelnen erstmal als “echter Mann” beweisen zu müssen um ernst genommen zu werden. Allgemein darauf angewiesen zu sein, wie Mediziner oder Psychiater über mich entscheiden, ohne dass sie mit den Folgen leben müssten, wobei sie oft nicht einmal wissen, worüber sie da reden. Manchmal mache ich mir ein Spaß daraus, bei besonders unempathischen Menschen in die Rolle des Gutachters zu schlüpfen und ihnen dessen Argumente vorzuhalten, mit denen sich Transmenschen herum schlagen müssen (folgend alles Zitate): Sie sind ein Mann, der mit vielen Frauen befreundet ist? Dann sind Sie eigentlich kein Mann, sondern im Kern eine Frau. Sie tragen als Mann gerne Ketten oder Ringe? Das zeigt, dass Sie eine Frau sind. Sie pflegen ihre Fingernägel und duschen mehr als einmal in der Woche – das spricht nicht dafür, dass Sie ein Mann sind. Sie gehen nicht jede Woche zum Friseur, sind Sie sich wirklich sicher eine Frau zu sein? Und wie, Sie finden kleine Kinder nervig? Eine Frau würde so etwas nicht denken. Sie reden als Frau lauter als andere Frauen? Na, das spricht aber nicht dafür.
Fast ist es schon absurd komisch. Doch es gibt auch viele Gutachter, die nicht in diesen Klischees denken und sich mehr auf andere Dinge fokusieren.

Durch diesen Weg habe ich persönlich zu mir selbst gefunden und bin dafür unfassbar dankbar und erleichtert. All die tausend zerborstenen Splitter von früher haben sich wieder zusammenfügen können und mein Selbstbewusstsein und meine Stärke gegenüber mir selbst und anderen ist nicht vergleichbar zu meinem Zustand davor. Irgendwann gewöhnt man sich auch an Sätze wie “Wenn du von nem echten Kerl durchgefickt werden würdest, wärst du nicht mehr Trans!” und irgendwann hat man die passenden Erwiderungen zu jeder Frage. Ich habe mich daran gewöhnt, dass Menschen – wenn ich sage, dass ich Transgender bin – sich im Recht fühlen, mich danach zu fragen mit wem ich Sex habe und wie das abläuft oder wie das bei mir untenrum jetzt aussieht und ob sie “mal schauen dürften” und ob nach Ops da noch Haare wachsen würden, denn “nur mit Haaren wie ein Hengst da unten hat, dann ist man ein Mann!” (Zitat eines Chefs während einem Praktikum).

Allerdings muss man sich da nicht dran gewöhnen. Wenn etwas die andere Person nichts angeht, hilft  es meistens, die selbe unangenehme Frage als Gegenfrage zu stellen, dann kommt oft einfach keine Antwort mehr. Das mache ich auch oft. Klar, man kann keine Toleranz fordern, wenn man dem Gegenüber nicht ein wenig entgegenkommt und aufklärt. Die meisten Menschen sind beim ersten Kontakt etwas überfordert, das ist normal. Allerdings lernt Trans auch einem Respekt für sich selbst einzufordern, denn von selbst kommt dieser leider nur in wenigen Fällen – so wie man auch lernt die Schritte des Transweges zu gehen. Zuvor hatte ich auch noch nie mit Gericht oder Krankenkassen zu tun, nicht mit Gutachtern oder MDKs. Aber man kommt da rein. Und man trifft auf wundervoll offene Menschen, die einem auch gerne bei einer Frage weiterhelfen oder einem Mut machen können das erste Mal z.B. in der Herrenabteilung einzukaufen, sich Kommentaren von Verkäufern und Passanten zu stellen, das erste Mal mit Binder rauszugehen oder sich mit dem passenden Namen vorzustellen.

Bist du selbst Trans, dann lass dich nicht unterkriegen. Vielleicht sieht der Weg hart aus, aber er ist machbar und du wirst da rein kommen – und er ist es definitiv wert. Scheiß auf die Menschen, die dich aus bloßer Respektlosigkeit mit den falschen Pronomen ansprechen oder dir ungefragt sagen, was du machen sollst und was nicht. Ihre Meinung ist genau das: allein ihre – und es ist ausschließlich ihr Problem, wenn sie nicht mit dir klar kommen. Lass sie, atme tief durch und denk dran, du bist ein wundervoller Mensch, so wie du bist. Das musst du niemandem beweisen und die richtigen Menschen werden dir begegnen, wenn du die loslässt, die dir das Leben schwerer machen wollen – auch wenn sie “es ja nur gut meinen”. Das ist eine Ausrede, nicht mehr und nicht weniger. Man sollte jedem versuchen es ein wenig verständlicher zu machen, aber muss sich dafür auch nicht völlig verrückt machen damit.

Der Weg wird seine Zeit dauern, geh ihn in deinem Tempo und erinnere dich daran, dass du jedes Recht hast, die Menschen um dich herum an deine Pronomen oder deinen Namen zu erinnern. Bis jetzt habe ich noch von keinem, der meinte er würde sich nie dran gewöhnen, erlebt, dass es wirklich so war.

Es wird leichter werden. Sobald die Namensänderung herum ist, kannst du leben, ohne dich outen zu müssen. Die Hormone werden ihr übriges tun. Etwas mehr Testo oder Östro bewirken wirkliche Wunder, selbst wenn man schon etwas älter ist. Und unter uns, so viele Menschen, die in die Norm von “Mann” und “Frau” fallen, gibt es auch nicht. Viele Menschen helfen da auch gesellschaftlich gedrängt nach. So wie die Hormone, die du bekommen wirst, die sind, die auch alle anderen Männer oder Frauen mit einer Hormonunterfunktion nehmen müssen – nur deine Dosis ist etwas höher.

Am wichtigsten ist, du allein entscheidest über dein Leben, denn niemand anderes wird es für dich leben müssen und so kennst auch nur du dich selbst am besten.

Schwul

Die einzelnen Autor:innen der Erfahrungsberichte haben die Freiheit ihre Berichte frei zu verfassen. Daher können sie teilweise sehr explizit oder triggernd sein.

Schwul

Die erste Frage, die man sich stellen sollte ist: Ist anders nicht normal? Klar kann man sagen, die Natur hat zwei Geschlechter erschaffen, dass Nachfahren gebildet werden können und co. Aber die Natur hat uns auch unsere Persönlichkeit gegeben. Und in dieser unterscheiden wir uns immer. Dementsprechend ist anders nur normal.

Eine Frage, die man sich auch stellt wäre, wie merke ich das ich schwul bin? Als Erstes muss dazu gesagt werden, dass die Wenigsten sich am Anfang denken: Oh Männer, da werde ich ganz heiß. Viel mehr ist bei den meisten Personen das Verlieben am Anfang. Die Person bemerkt ihre Gefühle zu einer anderen Person und findet sich dadurch selber.

Aber wie merke ich, dass ich in eine Person des gleichen Geschlechts verliebt bin?  Nun, natürlich sind das die Gleichen, wie sie im Internet stehen. Ich persönlich denke, dass die größten  Anzeichen folgende sind: Ich beginne der Person bestimmte Verhalten nach zu ahmen, wenn man gestritten hat, fühlt man sich verbunden und wünscht sich bereits das Ende vom Streit, die andere Person ist immer für einen da und kann einen immer zum Lachen bringen, man respektiert die Werte des anderen und vor allem das Wichtigste, alle Informationen, die die Person erzählt hat, weiß man und vergisst sie nicht. Aber auch wenn man der Person immer kleine Geschenke  oder -eher machbar – kleine Aufmerksamkeiten schenkt, am Ende muss die Person auf ihr Herz hören.

Sobald man festgestellt hat, man hat sich eine Person des gleichen Geschlechts verliebt und daraus, dass man schwul ist, hat man mehrere Möglichkeiten. Man kann einerseits den “Good Boy” spielen und alle wichtigen Personen anlügen um der oder die “Gute” zu sein, aber diese Methode finde ich absolut falsch.  Eher sollte man offen damit umgehen, Personen einweihen denen man vertraut  – Freunde, die einen deswegen abstoßen, waren keine guten Freunde.  Ich persönlich habe meinen besten Freundeskreis eingeweiht und habe generell gute Erfahrungen gemacht (Klar, der Person, die man liebt zu sagen, dass man sie liebt, ist ein weit aus schwieriger Prozess, den ich persönlich auch noch nicht gemacht habe).

Was eine Person macht, ist ihr überlassen, aber einen Ratschlag möchte ich geben. Anders sexuell orientiert zu sein ist keine Strafe, aber auch nicht besonders. Verhaltet  euch normal, klärt über euch auf. Und wenn jemand Witze und Humor anwendet, dann seit nicht sofort beleidigt, nehmt es mit Humor 😉 (Außer sie sind wirklich nur verbal angreifend). Normal zu sein, bedeutet auch so behandelt zu werden.