Die einzelnen Autor:innen der Erfahrungsberichte haben die Freiheit ihre Berichte frei zu verfassen. Daher können sie teilweise sehr explizit oder triggernd sein.
Transgender/Transmann
Was stellt man sich unter Trans vor?
Bei mir waren es damals Männer in glitzernden Kleidern und mit langen Bärten. Allerdings habe ich mich auch nie wirklich damit auseinander gesetzt – zumindest nicht, bevor ich 15 Jahre alt wurde.
Mein Anfang
15 ist an sich recht spät, wie mir im Vergleich zu anderen Transmenschen meines Alters zu der Zeit auffiel. Viele bemerken es schon in der frühen Kindheit. Ich dagegen habe etwas länger gebraucht. Bereits davor war ich mit einer Transfrau befreundet – ohne selbst überhaupt den Gedanken zu haben, bei mir könnte es ähnlich sein – und hatte ihren harten Werdegang miterlebt; das Outing, die Lästereien der Mitschüler, ihre Angst und Unsicherheit, die Gutachter und Gerichtstermine, zu denen sie musste. Ich hatte damals großen Respekt vor ihr, wie sie mit 12 Jahren selbstständig nach Frankfurt zu den Gutachtern fuhr und willensstark trotz allem ihren Weg ging. Später habe ich dann gemerkt, dass man diese Stärke automatisch entwickeln muss, um diesen Weg zu gehen.
Mit 15 Jahren traf ich eher dann zufällig auf einen anderen Transmann, wurde damit geradezu mit der Nase auf das Thema gestoßen und fing langsam an zu begreifen, dass seine Situation auch auf mich zu traf.
Kein einzelner Aha-Moment
Man stellt es sich vielleicht so vor, dass man nur den Begriff “Transgender” hört und dann dieser Klick-Moment der Erkenntnis auftauchen würde – und für ein paar trifft das auch so zu. Bei mir war das aber nicht der Fall: Es gab keinen wirklichen Moment der Erkenntnis. In meinem Kopf prügelten sich zwei Jahre lang die Emotionen gegenseitig, sodass ich gar nicht mehr wusste, wo mir der Kopf stand. Doch das Thema sein zu lassen und einfach zu verdrängen war unmöglich.
Was genau bedeutet Trans eigentlich?
Transgender ist eigentlich ein Überbegriff der weit mehr umfasst, als nur Mann und Frau.
Der medizinische Begriff, wenn man sich nicht dem gebürtigen Geschlecht zugehörig fühlt, ist transsexuell. Doch das Geschlecht hat nichts damit zu tun, auf wen man steht und in wen man sich verliebt, deswegen benutzen viele Transmenschen lieber die Begriffe transgender (gender = engl. Geschlecht) oder transident (soviel wie “identifizieren mit”).
Das Geschlecht, von dem hierbei die Rede ist, ist das sogenannte soziale Geschlecht. Also wie man angesprochen und gesehen werden will und sich selbst sieht – nicht welche Geschlechtsteile man besitzt.
Beim sozialen Geschlecht gibt es neben Mann und Frau (binäre Geschlechter; bi = zwei) das Spektrum der nicht binären Geschlechter. Darunter fallen Menschen, die sich zum Beispiel sowohl als Mann als auch als Frau fühlen; die, die sich einfach als existent sehen und denen Geschlecht völlig egal ist. Die, die einfach kein Geschlecht besitzen oder eben eines, welches weder männlich noch weiblich ist. Das Geschlecht eines Menschen kann auch wechseln und allgemein kann man es sich als ein großes, buntes Spektrum vorstellen. Dementsprechend kann es auch sein, dass jemand, der sich zum Beispiel keinem Geschlecht zugehörig fühlt, sich wünschen könnte, weder mit männlichem noch weiblichem Pronomen angesprochen zu werden.
Während im Tierreich diese Vielfalt schon seit Ewigkeiten besteht (z.B. bei Tiefseefischen, Clownfischen, Schnecken, etc.) ist es in der Gesellschaft doch noch sehr unbekannt. Man trifft auf viel Unverständnis, Intoleranz, Anfeindungen und manchen Menschen macht diese Vielfalt riesige Angst.
Soviel zu den Basics.
Aber wie merkt man, dass man Transgender sein könnte?
Gegenfrage: Fühlst du dich völlig wohl darin, als Mann/Frau geboren worden zu sein? So wohl, dass du höchstes einmal für wenige Stunden daran denkst, wie es wohl in einem anderen Geschlecht wäre, es aber dann gleich wieder verwirfst. Oder beschäftigt es dich doch etwas länger?
Meiner Erfahrung nach kommt bei Transmenschen oftmals die Frage “Wie fühlt man sich denn überhaupt als Mann/Frau?” auf. Und wenn du dir diese Frage stellst, erhöht sich in meinen Augen die Wahrscheinlichkeit, Trans zu sein, sehr, denn Menschen, die im passenden Geschlecht geboren werden, stellen sich diese Frage nicht. Bei ihnen gibt es eine tiefere Sicherheit, sodass sie gar nicht erst darüber den Kopf zerbrechen müssen.
Mein weiterer Weg
Meine Erkenntnis war, dass ich mich doch nicht wirklich so wohl fühlte, und mir im gebürtigen Geschlecht mehr wie apathisch und eine Puppe, die halt funktioniert, vorkam. Mich verband keine wirkliche Emotion mit dem Geschlecht, in dem ich mich eigentlich wohlfühlen müsste. Davor war das halt so, ich wusste ja nicht, dass es anders auch geht. Und wenn man nicht weiß wie es besser sein könnte, dann arrangiert man sich – mithilfe vieler psychischer Kompromisse – mit diesem Los.
Nun aber verfolgte ich etwas misstrauisch meine Gedanken, wie sie immer wieder an das männliche Geschlecht und wie es wäre so zu leben, so aufgewachsen zu sein, wanderten. Und wie es angenehmer und einfach freier war.
Damit kamen dann zwei Jahre Emotionschaos und Herumprobieren, die Versuche mich aus den festgefahrenen Rollen soweit zu lösen, dass ich langsam ich selbst werden konnte.
Ich bin in einem Haushalt von Frauen unterschiedlichsten Charakters aufgewachsen und wurde aufgezogen mit Mantras wie “Männer sind alles vergewaltigende Wölfe oder faule Schweine!” “Frauen müssen zusammenhalten!” “Wenn du zu einem Treffen fremder Menschen gehst – immer erst mit den Frauen reden und dort Freunde finden!” “Man lässt eine andere Frau nicht alleine in Clubs aufs Klo oder abends heimlaufen. Lass nie die Getränke deiner Freundinnen auch nur für eine Sekunde aus den Augen!” “Du musst dich als Frau behaupten – sonst wirst du in dieser Männergesellschaft untergehen.” Kurzum, ich hatte kaum Kontakt mit anderen Jungs. Dazu waren wir recht arm, meine Klamotten waren die meiner Cousinen, die diese von wieder anderen Verwandten hatten, ebenso bei Makeup; Geld für Friseur war nicht vorhanden, das machte man selbst. Viel Freiraum war da nicht.
Trotzdem konnte ich sagen, dass ich mich als Mann fühlte – und zwar aus dem einfachen Grund, dass ich – und nur ich allein – weiß was das Beste für mich und was mein Weg ist. So wie auch nur du allein weißt, was das Richtige für dich ist. Nicht deine Verwandten, nicht deine besten Freunde können das sagen. Und selbst wenn ein Mensch das ganze Leben mit dir Kontakt hatte, du allein bleibst Experte für dich. Soweit ich auch mit einer Verteufelung von Männern aufwuchs, so hatte ich auch meinen Sturkopf von meiner Verwandtschaft geerbt und wenn ich etwas von mir aus machen MUSSTE, dann zog ich das auch durch. Das war und ist bis jetzt noch immer der richtige Instinkt gewesen. Und ich wusste, dass ich weder ein Schwein noch ein Wolf werden würde.
Jetzt könnte man sagen: Cool, ich weiß, dass ich ein Mann bin, los geht’s!
Doch wieder habe ich es mir selbst schwer gemacht. Denn ich fühlte zwar, dass es der richtige Weg war, war aber seit dem Alter von 11 Jahren schwer depressiv, suizidal, selbstverletzend, suchte nach Drogen, Strategien zum Hungern oder Allem, womit ich unterbewusst dem mir so verhassten Körper schaden konnte. Ein Teil von Depressionen ist auch Taubheit. Dir ist alles scheiß egal, du fühlst einfach nichts mehr außer Gefühlslosigkeit. Willst du dich näher damit befassen, scheint alles in dir drin wie in tausend Splitter zerborsten zu sein und du weißt gar nicht, wo du überhaupt anfangen solltest oder ob es noch irgendwas zum Anfangen gibt.
Mir hat damals geholfen, dass ich mir selbst keine Wahl gelassen hatte. Ich MUSSTE mich weiter mit dem Thema befassen, MUSSTE Männerkleidung und Binder (eine Art Korsett für Brüste zum Abbinden) ausprobieren und nach Männernamen suchen, mich bei engen Vertrauten outen und mich von ihnen mit “er” ansprechen lassen. Dieser innere Drang, der einen einfach packt und nicht mehr loslässt, einem von dem Thema nicht mehr loslässt, bis man seine Lösung gefunden hat. Und mit jedem Ausprobieren und Weitermachen wurde der nächste Schritt des Weges etwas klarer für mich. Ich beschäftigte mich langsam mit der Therapie, Testosteron-Zugaben, Namensänderung und Operationen. Dennoch war das alles erstmal nur ein Gedankenspiel, nicht mehr. Eine Art Tagtraum.
Transweg
Der Begriff “Transweg” fällt meist im Zusammenhang damit, welche Schritte man vom gebürtigen Geschlecht bis zu dem vollständigen Wohlfühlen in einem anderen Geschlecht unternommen hat. Standartmäßig gibt es diesen Klick-Moment der Erkenntnis, dass man Trans ist. Dann sucht man sich einen Psychologen oder Psychiater, der einen auf dem Weg begleitet bzw. überwacht, ob man wirklich Trans ist und es nicht an irgendetwas anderem liegt. Diese stellen einem nach (durchschnittlich) einem halben Jahr die Indikation (=Art Notwendigkeitsschreiben) für Hormone aus.
Hormone
Mit diesem Schreiben geht man zu einem Endokrinologen, der auf alles rund um Hormone spezialisiert ist und einem diese auch verabreicht. Meistens wird dazu aber ein zusätzliches Gutachten von einem unabhängigen Psychiater verlangt. Am ersten Termin wird Blut abgenommen und in ein besonderes Labor geschickt zur Chromosomensatzanalyse. Dort wird geschaut, ob man nicht doch intersexuell ist oder eine extreme Hormonüber- oder unterproduktion hat, an der es liegen könnte. Das dauert im Durschnitt 4 Monate bis die Ergebnisse da sind. Ist alles im Normbereich (die meisten Menschen haben eine leichte Über- oder Unterproduktion, allerdings in einem gewissen Bereich liegend), kann mit der Hormongabe begonnen werden.
Testosteron und Östrogen sind die beiden hier eine Rolle spielenden Hormone. Östrogene stehen für die “weiblichen Hormone” und Testosteron für die “männlichen Hormone”. Bei Transmännern, wie mir, reicht meist die Gabe von Testosteron, da es das dominantere Hormon ist. Bei Transfrauen müssen meist zum Östrogen zusätzlich noch Blocker dazu genommen werden, um das Testosteron zu dämpfen. Jeder Mensch hat beide Hormone in sich, allein wie stark die Drüsen sind, macht aus, ob man “typisch männlich” oder “typisch weiblich” aussieht. So haben Frauen mit eher männlichen Gesichtszügen oder stärkerer Behaarung wahrscheinlich etwas mehr Testosteronproduktion und Männer mit weiblicheren Gesichtszügen, weniger Behaarung oder breiteren Hüften wahrscheinlich etwas mehr Östrogenproduktion.
Das macht aber nicht aus, ob man Transgender ist. Wenn eine Frau, die sich als Frau wohlfühlt, mehr Testosteron bekommen würde, so würde sie sich dennoch genauso als Frau fühlen wie zuvor. Die Hormongabe ist lediglich eine Hilfe für Transmenschen, um ihr Äußeres dem Inneren anzupassen, wie es auch bei den Operationen der Fall ist.
Wie jedes Medikament fängt man auch mit Hormonen erst leicht an, um den Körper daran zu gewöhnen. Bei Kindern gibt es die Möglichkeit der Gabe von Blockern, sodass diese während der Pubertät nur leichtere Veränderungen durchleben und die vollständigen Veränderungen sich nach hinten verschieben, bis die Kinder volljährig sind, um selbst über sich zu entscheiden. Dafürsprechend ist, dass nicht alle Veränderungen nach der Pubertät noch umkehrbar sind und deswegen zu lebenslangen, psychischen Schäden oder Traumatisierungen führen können. Zudem ist Suizid oder der Wunsch zu sterben, um den falschen Körper und das “falschen Leben” im falschen Geschlecht endlich hinter sich zu lassen und alle damit verbundenen psychischen Schmerzen zu beenden, unter Transmenschen kein unbekanntes Thema.
Die Hormongabe beginnt meist mit Hormongel. Das kann man sich wie bei einem Seifenspender vorstellen. Ein Hub entspricht einmal auf den Seifenspender drücken. Gel ist sehr leicht anzupassen im Gegensatz zu der Spritze, die dafür nicht täglich, sondern nur etwa alle 3 Monate genommen werden muss.
Nach etwa einem Jahr Testosteron und ein ein-halb Jahren Begleittherapie, in der auch der Alltagstest (=lebt man im gefühlten Geschlecht? Ist man geoutet? Welche Toiletten benutzt man? Etc.) statt gefunden hat, kann man sich an die Operationen machen.
Operationen
Dafür sucht man sich einen der wenigen Operateure heraus, hat dort ein Gespräch zur Aufklärung und reicht mit allen anderen Gutachten, Indikationsschreiben, einem Translebenslauf (= in dem man auf alles, was man bis jetzt im gefühlten Geschlecht gemacht und erlebt hat von Kindergarten bis zum aktuellen Zeitpunkt, sowie auf Familie, Freunde, Hobbies, Lebensumstände und weiterem eingeht) und weiteren Schreiben den Antrag auf die Operationen bei der Krankenkasse ein. Das ist meistens ein ziemlicher Kampf und oft wird grundsätzlich der erste Antrag abgelehnt, sodass man in Widerspruch gehen muss. Für eine Operation sollte man eine Wartezeit von etwa einem Dreivierteljahr einplanen.
Sehr wichtig ist: Es gibt viele verschiedene Operationsschritte, die aufeinander folgen, mit jeweils ein paar Monaten zur Heilung dazwischen. Du und nur du allein entscheidest, bis zu welchen Schritten du gehen möchtest und was du nicht machen möchtest! Bei jeder Op gibt es Risiken und da die Methoden noch relativ wenig weiterentwickelt wurden, sollte man sich auf jeden Fall klar werden, ob einem das Ergebnis passt ist im Vergleich zu den Risiken, Krankenhausaufenthalten und Schmerzen bis zur Verheilung. Wie gesagt: Die Operationen sind nur eine Hilfe, das Innere nach außen zu tragen, und du allein entscheidest, was du dafür brauchst, um dich komplett wohl zu fühlen. Das können alle fünf großen Ops sein (bei Transmännern), dass kann auch nur eine oder sogar keine sein.
Namen- und Personenstandsänderung
Nebenbei kann man sich jederzeit an die Namens- und Personenstandsänderung machen. Dazu reicht man den Antrag mit gewünschtem Namen und Geschlecht (Mann oder Frau) und Translebenslauf – sowie wenn möglich Antrag auf Gerichtskostenbeihilfe – bei der zuständigen Gerichtstelle ein und bekommt nach einer Anhörung zwei Gutachter zugewiesen, mit denen man nachweislich noch keinerlei Kontakt hatte. Diese schicken ihren Ergebnisbericht wieder an das Gericht und abhängig davon wird entschieden. Fällt ein Gutachten negativ aus, kann man in Widerspruch gehen und einem wird ein dritter Gutachter zugewiesen.
Gutachtertermine sind je nach Psychiater einer oder mehrere Termine, die durchschnittlich 3 Stunden pro Sitzung dauern. Zuvor schickt man ihnen noch einmal einzeln den Translebenslauf zu, sodass diese gezielte Fragen stellen bzw. abgleichen können, was man erzählt und geschrieben hatte. Es geht wieder von Vorschulalter über Kindergarten, Grundschule, weiterführende Schulen, das Umfeld damals bis heute, welche Klamotten man getragen hat, ob man mehr mit Jungen oder Mädchen befreundet war, welche Spielzeuge man hatte, Kindheitsfotos in welchen Klamotten, Familienverhältnis, Wohnsituationen, Beziehungspartner, körperliche Berührungen, Sexleben, Hobbies, Beschäftigungsverhältnis, Outings, Alltagssituationen, in welchen Situationen einem deutlich wird im falschen Geschlecht zu sein, Frisuren, ob man jemals Make-up verwendet hat, Schmuck, welche Erkrankungen es in der Familie gibt, etc. Oft folgen noch ca. 1 stündige IQ- , EQ- und Tests über die Psyche. Es wird bewertet, welche Ausstrahlung man hat, welche Klamotten man am Termin trägt, welchen Haarschnitt man hat und wie Mimik und Gestik sind.
Verfahrenskostenbeihilfe heißt im Übrigen, dass ein Teil der Gerichtskosten übernommen werden. Diese wird genehmigt, wenn man nachweisen kann, dass beide Elternteile nicht über eine gewisse Grenze hinaus verdienen. Insgesamt dauert das Verfahren von Antrag Absendung bis zum offiziellen Bescheid (bei zwei positiven Gutachten) etwa ein Jahr. Das hängt u.a. daran, dass die Gutachter Wartezeiten von bis zu einem halben Jahr haben.
Bei mir war damals der Fall, dass ich seit Jahren keinen Kontakt mehr zur väterlichen Familienhälfte besaß und die Seite meiner Mutter Transgender für eine heilbare Krankheit und psychische Störung hielt und noch immer hält. Damit blieb nur selbst bezahlen übrig und so sparte ich darauf. Man sollte in etwa 2.500 Euro dafür einplanen, zusätzlich Kosten für alle Fahrten und hinterher die Kosten für neue Urkunden und Ausweispapiere. Ohne deutsche Staatsbürgerschaft ist dieses Verfahren nicht möglich und sowieso braucht man für alles von Therapie bis Operation entweder die Einverständniserklärung der Erziehungsberechtigten (wenn es beide Eltern sind, dann beide) oder man ist volljährig.
Das Leben als Transmann
Allgemein lebe ich jetzt seit etwa fünf Jahren als Mann, bin seit über einem Jahr auf Testosteron, habe die Namensänderung durch und hoffe auch bald auf das O.K. für die ersten Operationen. Ich habe nicht vor, alle fünf machen zu lassen. Mir persönlich graust es sehr vor Krankenhäusern und das Risiko, durch einen 1 Millimeter verrutschten Schnitt mit ca. 25 Jahren für immer inkontinent zu werden, ist mir zu hoch. Außerdem weiß ich noch nicht, wo es mich im Leben hin verschlagen wird, da möchte ich nicht zwangsweise alle paar Monate für den Rest meines Lebens ins Krankenhaus zur Kontrolle müssen. Doch kann ich auch sehr gut verstehen, wenn man alle Ops machen lassen möchte… Allein schon, wenn ich an Gemeinschaftsduschen oder Schwimmbäder denke.
Was Transgender angeht, gibt es noch Momente, in denen die alte Unsicherheit für ein paar Minuten hoch kommt und auch Momente, in denen ich verfluche nicht als Mann geboren worden zu sein. Die Kindheit als Junge, die ich nie erleben kann, oder nie als Mann aufzuwachsen. All der Stress, die Outings und die Menschen, die ich dadurch verloren habe oder einige Gespräche, bei denen sich mir jetzt noch alles umdreht vor Menschenfeindlichkeit darin, das hätte eine einfache Verkürzung eines Chromosoms erspart. Das Gefühl bei Gutachtern wie ein Zirkustier bewertet zu werden oder bei jedem Outing mich bei fast jedem einzelnen erstmal als “echter Mann” beweisen zu müssen um ernst genommen zu werden. Allgemein darauf angewiesen zu sein, wie Mediziner oder Psychiater über mich entscheiden, ohne dass sie mit den Folgen leben müssten, wobei sie oft nicht einmal wissen, worüber sie da reden. Manchmal mache ich mir ein Spaß daraus, bei besonders unempathischen Menschen in die Rolle des Gutachters zu schlüpfen und ihnen dessen Argumente vorzuhalten, mit denen sich Transmenschen herum schlagen müssen (folgend alles Zitate): Sie sind ein Mann, der mit vielen Frauen befreundet ist? Dann sind Sie eigentlich kein Mann, sondern im Kern eine Frau. Sie tragen als Mann gerne Ketten oder Ringe? Das zeigt, dass Sie eine Frau sind. Sie pflegen ihre Fingernägel und duschen mehr als einmal in der Woche – das spricht nicht dafür, dass Sie ein Mann sind. Sie gehen nicht jede Woche zum Friseur, sind Sie sich wirklich sicher eine Frau zu sein? Und wie, Sie finden kleine Kinder nervig? Eine Frau würde so etwas nicht denken. Sie reden als Frau lauter als andere Frauen? Na, das spricht aber nicht dafür.
Fast ist es schon absurd komisch. Doch es gibt auch viele Gutachter, die nicht in diesen Klischees denken und sich mehr auf andere Dinge fokusieren.
Durch diesen Weg habe ich persönlich zu mir selbst gefunden und bin dafür unfassbar dankbar und erleichtert. All die tausend zerborstenen Splitter von früher haben sich wieder zusammenfügen können und mein Selbstbewusstsein und meine Stärke gegenüber mir selbst und anderen ist nicht vergleichbar zu meinem Zustand davor. Irgendwann gewöhnt man sich auch an Sätze wie “Wenn du von nem echten Kerl durchgefickt werden würdest, wärst du nicht mehr Trans!” und irgendwann hat man die passenden Erwiderungen zu jeder Frage. Ich habe mich daran gewöhnt, dass Menschen – wenn ich sage, dass ich Transgender bin – sich im Recht fühlen, mich danach zu fragen mit wem ich Sex habe und wie das abläuft oder wie das bei mir untenrum jetzt aussieht und ob sie “mal schauen dürften” und ob nach Ops da noch Haare wachsen würden, denn “nur mit Haaren wie ein Hengst da unten hat, dann ist man ein Mann!” (Zitat eines Chefs während einem Praktikum).
Allerdings muss man sich da nicht dran gewöhnen. Wenn etwas die andere Person nichts angeht, hilft es meistens, die selbe unangenehme Frage als Gegenfrage zu stellen, dann kommt oft einfach keine Antwort mehr. Das mache ich auch oft. Klar, man kann keine Toleranz fordern, wenn man dem Gegenüber nicht ein wenig entgegenkommt und aufklärt. Die meisten Menschen sind beim ersten Kontakt etwas überfordert, das ist normal. Allerdings lernt Trans auch einem Respekt für sich selbst einzufordern, denn von selbst kommt dieser leider nur in wenigen Fällen – so wie man auch lernt die Schritte des Transweges zu gehen. Zuvor hatte ich auch noch nie mit Gericht oder Krankenkassen zu tun, nicht mit Gutachtern oder MDKs. Aber man kommt da rein. Und man trifft auf wundervoll offene Menschen, die einem auch gerne bei einer Frage weiterhelfen oder einem Mut machen können das erste Mal z.B. in der Herrenabteilung einzukaufen, sich Kommentaren von Verkäufern und Passanten zu stellen, das erste Mal mit Binder rauszugehen oder sich mit dem passenden Namen vorzustellen.
Bist du selbst Trans, dann lass dich nicht unterkriegen. Vielleicht sieht der Weg hart aus, aber er ist machbar und du wirst da rein kommen – und er ist es definitiv wert. Scheiß auf die Menschen, die dich aus bloßer Respektlosigkeit mit den falschen Pronomen ansprechen oder dir ungefragt sagen, was du machen sollst und was nicht. Ihre Meinung ist genau das: allein ihre – und es ist ausschließlich ihr Problem, wenn sie nicht mit dir klar kommen. Lass sie, atme tief durch und denk dran, du bist ein wundervoller Mensch, so wie du bist. Das musst du niemandem beweisen und die richtigen Menschen werden dir begegnen, wenn du die loslässt, die dir das Leben schwerer machen wollen – auch wenn sie “es ja nur gut meinen”. Das ist eine Ausrede, nicht mehr und nicht weniger. Man sollte jedem versuchen es ein wenig verständlicher zu machen, aber muss sich dafür auch nicht völlig verrückt machen damit.
Der Weg wird seine Zeit dauern, geh ihn in deinem Tempo und erinnere dich daran, dass du jedes Recht hast, die Menschen um dich herum an deine Pronomen oder deinen Namen zu erinnern. Bis jetzt habe ich noch von keinem, der meinte er würde sich nie dran gewöhnen, erlebt, dass es wirklich so war.
Es wird leichter werden. Sobald die Namensänderung herum ist, kannst du leben, ohne dich outen zu müssen. Die Hormone werden ihr übriges tun. Etwas mehr Testo oder Östro bewirken wirkliche Wunder, selbst wenn man schon etwas älter ist. Und unter uns, so viele Menschen, die in die Norm von “Mann” und “Frau” fallen, gibt es auch nicht. Viele Menschen helfen da auch gesellschaftlich gedrängt nach. So wie die Hormone, die du bekommen wirst, die sind, die auch alle anderen Männer oder Frauen mit einer Hormonunterfunktion nehmen müssen – nur deine Dosis ist etwas höher.
Am wichtigsten ist, du allein entscheidest über dein Leben, denn niemand anderes wird es für dich leben müssen und so kennst auch nur du dich selbst am besten.