Die einzelnen Autor:innen der Erfahrungsberichte haben die Freiheit ihre Berichte frei zu verfassen. Daher können sie teilweise sehr explizit oder triggernd sein.
Angefangen hat es bei mir etwa mit 15 Jahren und der Erkenntnis, dass ich vielleicht eher männlich war, als weiblich. Es war ein random Gedanke gewesen, der sich aber in meinem Kopf gehalten hatte und über den ich immer wieder nachdenken musste, über viele Monate und Jahre hinweg. Etwas in mir hat mit dem Gedanken sehr viel verbunden, aber in Worte fassen konnte ich es nicht.
Bis dahin hatte ich mich mit meinem Geschlecht nicht auseinandergesetzt, es war halt da und ich musste irgendwie damit klar kommen. Und das ging am besten durch Ignorieren, Verdrängen und das Beste daraus zu machen.
Gleichzeitig war ich auf der Selbstfindungsphase und hatte mich gerade in meine damalige beste Freundin verliebtTM. Mehr durch Zufall stieß ich bei der Recherche, was mit mir falsch lief, auf dem Begriff “Bisexuell” und dadurch auf eine queere Community im Internet. Ich lernte einen Trans* Mann kennen, der auch bisexuell war. Vor allem durch das Schreiben mit ihm stellte ich fest, dass ich vieles sehr gut selbst kannte, aber nie auf die Idee gekommen war, dass das nicht normal war und es nicht allen Menschen auch so ging, aber einfach niemand darüber sprach (zumindest war das meine Erklärung damals). Ich fand mich wieder in den Erzählungen von ihm und auch anderen Trans* Männern und lernt auch eine Person kennen, die wie ich auf Selbstfindung war und die mir bis heute noch immer im Austausch und sich selbst besser kennen lernen eine nicht in Worte fassbare, große Hilfe ist.
Aus einer Stimmung heraus besorgte ich mir irgendwann einen Binder und versuchte einen anderen Namen. Irgendwie hielt sich beides, trotz den anhaltenden starken Zweifeln und anderen Irrungen und Wirrungen. Ich merkte, dass es mir mit beidem besser und schlechter ging und das verwirrte mich. Erst später kann ich sagen, dass das Schlechter-Fühlen davon kam, dass sich die Jahre des Verdrängens bemerkbar machten und ich noch viele Jahre der Heilung brauchte bzw teilweise immer noch vor mir habe. Da ich damals vor allem nur Binäre Trans*menschen kannte und bei der Entscheidung Mann oder Frau, Mann “eher” passte, als eine Frau zu sein, folgte ich der Transition für Männer, hielt dabei aber oft geheim, dass ich mir immer noch unsicher war und Zweifel hatte – aber gleichzeitig einfach “wusste”, dass das der richtige Weg für mich war. Es kam mir wie ein unendliches Paradox vor, das aber nicht durch Stillstand lösbar war.
Inzwischen kann ich das alles viel besser in Worte fassen als damals. Jetzt weiß ich, dass das was mich zweifeln ließ zu einem großen Teil mein Umfeld war, internalized transphobia, Depressionen, generelle Kopflastigkeit und alles “tot denken” müssen und vor allem auch, dass die sich ständige (teilweise mehrmals am Tag) wechselnde Gewissheit meiner Geschlechtsidentität, damit zu tun hat, dass ich Fluidflux bin. Männliche Geschlecht(er) sind bei mir meist, neben Zeiten wo ich eher Neutralität bevorzuge, am häufigsten aufgetreten. Deshalb hatte ich früher gedacht, dass ich (nur) ein Trans* Mann bin und den Rest auf Psyche geschoben. Vor allem erst nach der Kombi OP (Mastek und Hysto) bin ich Stück für Stück der Erkenntnis, dass ich Genderfluid bin und zwischen Geschlechtern wechsele, näher gekommen. Ich vermute, weil damit einfach so viel Leidensdruck abgefallen ist, dass ich mich nun mit dem nächsten/darunterliegendem beschäftigen konnte. Später stieß ich auf den Begriff Genderflux, wo sich die Intensität des erlebten Geschlechts wechselt. Beides zusammen hat mir über die Zeit des Selbst-Beobachtens die Augen geöffnet und inzwischen kann ich recht gut auseinander halten und bestimmen, wann es wieder fluidiert und wie es das tut. Wie es mir dann am besten geht, das lerne ich aktuell noch. Hormone haben mir mich selbst näher gebracht, die Operationen haben mich befreit und jetzt ist es einzig der Name, der nach der Namens- und vor allem Personenstandsänderung zwar weit besser als davor ist, aber im Alltag ich mich doch mit einem neutralen Platzhalter statt einem Namen am wohlsten fühle. Sollte es mal eine legale Anerkennung für nicht binäre Menschen geben, würde ich das gerne ändern, aber das wird wohl eher noch eine ganze, lange Weile dauern. Bei Pronomen bin ich noch am Überlegen, da nach jedem Fluidieren etwas anderes besser ist bzw das zuvor eben nicht mehr passt, ich es meinen Mitmenschen aber auch so leicht, wie möglich machen will, ohne mir selbst meine Menschenrechte und self respect abzuerkennen. Deshalb verwende ich im Moment keine Pronomen, aber halte mir natürlich offen, dass sich das nochmal für mich ändern kann.
Was ich inzwischen auch weiß ist, wie unglaublich wichtig es ist sich ausprobieren zu können und dabei vom Umfeld einfach akzeptiert zu werden und wenn eine andere Selbstfindungsphase kommt, wieder dieselbe Akzeptanz zu erfahren, egal wie lange oder kurz so etwas andauert oder wie oft. Außerdem merke ich, dass es eine Hilfe ist, dass jetzt wo die Operationen und Veränderungen sehr viel Druck, Stress und Leidensdruck weggenommen haben und ich ein tolles Umfeld habe, ich mich viel besser auf die Aufarbeitung und vor allem die Heilungsphase konzentrieren und angehen kann. Durch den Prozess weiß ich inzwischen auch, dass es bei mir als Kind damals schon Verhaltensauffälligkeiten gegeben hatte, die aber immer ignoriert oder mit Erziehung versucht wurden abzutrainieren. Zwar habe ich dadurch eine große Selbstkontrolle entwickelt, aber nicht in einem gesunden Maß und musste über die Jahre erst wieder überhaupt einen Zugang zu meinem Gefühlen entwickeln. Aber jetzt, nach vielen, umgangssprachlich gesagt, absolut beschissenen Jahren, in denen alles aus allen Ecken hochgekommen ist und ich bei dem riesigen Wollknäuel was mit mir los sein könnte oder warum ich nicht einfach “normal” sein kann, gefühlt nie weiterkam oder immer nur in Sackgassen endete, geht es mir so unglaublich viel besser. Ich habe wieder Zugang zu mir selbst, viel an Selbstbewusstsein, Kampfgeist und langem Atem dazugewonnen und den wundervollsten Partner der Welt. Wenn ich zurück an das Mobbing in der Schule und der Ausgrenzung damals denke oder wie oft ich damals suizidal oder dissoziativ war, ist es ein befreiendes Gefühl, endlich einen größeren Blick auf das Ganze haben zu können. Zwar habe ich was psychische Erkrankungen angeht, durch die ganze lange Zeit noch einiges vor mir, aber Suizidalität und Selbstverletzung sind an den meisten Tagen weit weg und auch die Tage an denen es mir so schlecht wie damals geht, sind weit weniger und kürzer geworden, dass es kaum zu vergleichen ist. Ich glaube ich komme langsam vom “Überleben” ins “Leben” und das ist ein tolles Gefühl und es ist ein unbeschreiblich gutes Gefühl, endlich heilen und ich selbst sein zu können. Was ich auch nicht dachte, aber sich gut anfühlt, ist dass es okay ist, wenn ich noch nicht “fertig” und “angekommen” bin. Früher habe ich mir sehr viel Druck gemacht, selbst so schnell wie möglich eine “Lösung” und Erklärung für alles haben zu müssen, um es anderen Menschen präsentieren zu können. Inzwischen ist es so, dass ich es gut loslassen und die Selbstfindungsphase ihr eigenes Tempo lassen kann, dass der Druck weg ist, was sich so viel gesünder und entspannter anfühlt. Das Gefühl etwas zu “verpassen” in der richtigen Geschlechtsidentität ist auch nur noch selten da und auch die Angst davor, was ist, wenn es sich doch wieder ändert, begleitet mich nicht mehr, weil ich jetzt einfach die Gewissheit habe, dass ich es akzeptieren und lieben kann. So wie ich halt bin oder sein werde.