Die einzelnen Autor:innen der Erfahrungsberichte haben die Freiheit ihre Berichte frei zu verfassen. Daher können sie teilweise sehr explizit oder triggernd sein.

Kein Entweder-Oder

„Stehst du auf Männer oder Frauen?“ Für die meisten Menschen dürfte diese Frage relativ leicht zu beantworten sein, zumindest ab einem gewissen Punkt in ihrem Leben. Für mich war sie das nie.

Als Kind habe ich nie den gängigen Geschlechternormen entsprochen, ich war nie, wie man „als Mädchen“ oder „als Frau“ zu sein hat. Und auch, wenn diese Logik im Nachhinein betrachtet sicherlich falsch ist, bin ich deshalb lange Zeit davon ausgegangen, dass ich hetero ja nicht sein kann. Als ich irgendwann feststellte, dass ich irgendwie doch (auch) auf männliche Personen stehe, brachte diese Erkenntnis daher eine mittelschwere Identitätskrise mit sich. Denn schließlich ist man laut vorherrschender gesellschaftlicher Meinung als Frau entweder „ganz normal hetero“ oder eben lesbisch. Und Letzteres war ich sicher nicht. Ich wusste zu dem Zeitpunkt zwar, dass es auch bisexuelle Menschen gibt, wollte aber nicht wahr haben, dass ich vielleicht einer davon bin. Nicht einfach nur ein Geschlecht zu haben, auf das man „steht“, würde schließlich alles nur komplizierter machen. Und viel zu kompliziert war mir das alles sowieso schon.

Meine Sexualität war aber nicht der einzige Aspekt meiner Existenz, der mich verwirrte.Was mich zunehmend beschäftigte, war auch mein eigenes Geschlecht.

Meistens schon bevor wir überhaupt geboren werden, steht fest, als was wir später einmal unser gesamtes Leben lang leben sollen: Als Mann. Oder eben als Frau. Diese Einteilung scheint das Natürlichste, das Grundsätzlichste der Welt zu sein. Aber für mich ist sie das nicht. Ich habe mir über ca. zwei Jahre hinweg den Kopf zerbrochen, wer ich bin (Mann? Frau? Weder noch?), bevor ich mich entschlossen habe, diesem ach so natürlichen Konstrukt namens Geschlecht den Mittelfinger zu zeigen. Weil ich einfach sein will, wer ich bin, ohne mich von irgendwelchen konstruierten Rollenvorstellungen einschränken zu lassen.

In einer zweigeschlechtlichen Welt ist das nicht immer ganz einfach. Für Personen wie mich, die nicht als eines der beiden binären Geschlechter leben, ist es z.B. in Deutschland sehr schwierig, den eigenen Vornamen oder Geschlechtseintrag ändern zu lassen und/oder medizinische Maßnahmen wie Hormone oder sog. geschlechtsangleichende Operationen zu bekommen.Wenn ich neue Menschen kennenlerne und die mich verwirrt fragen, ob ich denn nun weiblich oder männlich bin, ich das angesichts der mangelnden Fähigkeit vieler Menschen, über ihren eigenen binären Tellerrand hinauszublicken, auch nicht unbedingt immer eine schöne Situation. Aber ich habe Freund*innen, die mich unterstützen, was das alles sehr viel erträglicher macht.

Womit wir wieder beim Thema Sexualität wären. Auch da gibt es für mich eben kein Entweder-Oder. Und das ist auch gut so. Ich habe gelernt, dass ich mich nicht in Schubladen stecken muss, und diese Erkenntnis ist mir viel mehr wert, als irgendwelchen Normen zu entsprechen.